Fremdplatzierungen in der Schweiz: Erfahrungsberichte von Opfern und Erinnerungsarbeit
Die offizielle Anerkennung historischen Unrechts, welches im Kontext von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen begangen wurde, hat eine öffentliche Debatte, darüber ausgelöst, wie das Leid der Betroffenen anerkannt werden sollte. Die Opfer dieser Massnahmen selbst haben durch ihre Forderung nach Anerkennung und Entschädigung eine Schüsselrolle in dieser Debatte gespielt, was diesen Abschnitt der jüngsten Schweizer Geschichte stärker ins Bewusstsein gerückt hat.
Projektbeschrieb (laufendes Forschungsprojekt)
Die fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen in der Schweiz haben persönliche Traumata bei vielen Opfern ausgelöst. Sie waren auch der Ausgangspunkt für einen gemeinschaftlichen Prozess der "Erinnungsarbeit", in Form von kritischen Debatten über grundlegende politische Themen wie zum Beispiel der Beziehung zwischen Bürger/in/n und Staat, soziale Ungerechtigkeit, und der Entschädigung von vergangenem Unrecht. Die Studie analysiert die zentrale Rolle, die die Opfer dieser Massnahmen in diesem Prozess gespielt haben. Wir untersuchen, wie es ihnen gelungen ist, sich Gehör zu verschaffen und erforschen, welche Stimmen oder welche Belange bisher untergegangen sind oder in den Medien und politischen Debatten wenig Beachtung erhalten haben (2000–2017). Im ersten Schritt gehen wir diesen Fragen im nationalen Kontext nach. Grundlage bilden Interviews mit Akteuren, die eine Schlüsselrolle in diesem Prozess gespielt haben (Repräsentanten von Organisationen, die Opfer repräsentieren, Politikern etc.). Im zweiten Schritt ziehen wir Vergleiche mit ähnlichen Erfahrungen von "Erinnerungsarbeit" in anderen nationalen Kontexten: Großbritannien, Kanada und Australien.
Hintergrund
Die Studie steht im weiteren Zusammenhang, erstens, mit aktuellen Debatten in der Öffentlichkeit um Massnahmen zur Wiedergutmachung für Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen in der Schweiz (seit dem Jahr 2000); zweitens, mit früheren Debatten um Opfer eugenischer Sterilisationen und um Fremdplatzierungen der Jenischen in der Schweiz; und drittens, mit ähnlichen historischen Traumata und Kontroversen in anderen Ländern.
Ziel
Die Studie setzt es sich zum Ziel, erstens, mögliche künftige Probleme, die sich aus den (gutgemeinten) Wiedergutmachungs- und Entschädigungsmassnahmen der Schweizer Regierung ergeben, zu sondieren. Zweitens hat es sich diese Studie zum Ziel gesetzt, die langfristigen Voraussetzungen, die zum Erfolg oder Scheitern von Kampagnen zur Entschädigung historischen Unrechts führen sowie die Hindernisse, mit denen Aktivisten, in ihrer Forderung nach Anerkennung, konfrontiert werden, besser zu verstehen.
Bedeutung
Das Projekt leistet einen Beitrag zu gegenwärtigen Debatten in den Sozialwissenschaften und zur wissenschaftlichen Literatur über kollektive Traumata, Nationalidentität und wiedergutmachende Justiz (und ihre Grenzen). Unsere Analyse von Hindernissen, auf die Entschädigungsmassnahmen gestossen sind, wird für Politiker und politische Entscheidungsträger, die möglicherweise künftig mit ähnlichen Forderungen konfrontiert werden, von Interesse sein. Indem wir die Erfahrungen von Aktivisten, die sich für Opfer einsetzen, untersuchen, werden wir ihr Vermögen, Widerstand zu leisten und ihr Vermögen, gemeinschaftlich Massnahmen zu ergreifen hervorheben. Dies wird zu einer grösseren sozialen Anerkennung der von ihnen gespielten Rolle beitragen.
Originaltitel
Victim narratives, ‘memory work’ and the remaking of Swiss national identity: a discourse analysis of the memorialisation of compulsory social measures and placements in Switzerland in comparative perspective.